Scriptorium und Bibliothek der Abtei Himmerod

Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des Eifelklosters Himmerod von
Abt Ambrosius Schneider (1911-2002), bearbeitet
von Fritz Wagner

Das geistige und wissenschaftliche Leben mittelalterlicher Klöster spiegelte sich wesentlich in den Bücherbeständen ihrer Bibliotheken wider. Das Abschreiben von Büchern war eine der wichtigsten Aufgaben im lateinischen Mönchtum. Dies ist vielfach bezeugt, so in der Nonnenregel des Bischofs Caesarius von Arles (469/70-542) oder in der Mönchsregel des Vaters des abendländischen Mönchtums, Benedikt von Nursia (um 480-um 550), der die Mönche im Wechsel von Gebet und körperlicher Arbeit (ora et labora) zur geistlichen Lesung (lectio divina) geradezu verpflichtete (Regula, Kap.48). Dies setzte im Kloster notwendigerweise das Vorhandensein eines ausreichenden Bücherbestandes voraus. Der Gründer des Klosters Vivarium, Cassiodor (1. Hälfte 6. Jh. n. Chr.), der in seinem Lehrbuch „Institutiones divinarum et saecularium litterarum“ das Verhältnis der weltlichen zu den geistlichen Wissenschaften behandelt, führte das Abschreiben von Handschriften antiker Autoren in das Mönchsleben ein, ermunterte seine Klosterbrüder zum Sammeln von wertvollen Kodizes und zollte den Schreibermönchen hohes Lob (Institutiones I, 30). Abgesehen von der Kirche widmeten die Konvente keinem Klosterraum so viel Aufmerksamkeit und Ehrfurcht wie der Bibliothek. Sie galt mit ihren sorgfältig gehüteten Handschriften nach einer Erklärung des Generalkapitels von Cîteaux (1454) „als der eigentliche Schatz der Mönche“. Die Anfänge der Himmeroder Bibliothek waren bescheiden. Den Grundstock bildeten die für das liturgisch-monastische Leben erforderlichen Bücher (Missale, Graduale, Antiphonarium, Psalterium, Hymnarium, Lectionarium, Kalendarium, Regula, Liber usuum), die ein Mutterkloster dem Gründerkonvent eines neuen Klosters in der Regel zum Abschreiben mitgab.

Daneben schrieben die Himmeroder Mönche auch Urkunden, Kopiare und Akten nicht zuletzt für die Wirtschaftsverwaltung des Kosters: Ein eindrucksvolles Beispiel ist das 1345 durch den Mönch Bertram aus Rees abgeschlossene dreibändige „Chartularium
Himmerodense“ (Stadtbibliothek Trier, Hs. Nr. 1713/38, 1-3).

Das Armarium, wie die Bibliothek ursprünglich genannt wurde, war ein kleiner, meist fensterloser Raum. In die Wand eingelassene Nischen nahmen die Bücher auf. Sie wurden vom Kantor verwaltet und an die einzelnen Mönche ausgegeben. Mit dem Anwachsen der Bücherbestände schritt man zur Erweiterung des Armariums auf Kosten der dahinter liegenden Sakristei. Später wurde der Bau einer eigenen Bibliothek notwendig. Von dem romanischen Klosterbau Himmerods blieb als einziger Rest ein Säulenbündel im Nordflügel des Kreuzgangs übrig. Somit lassen sich weder Lage noch Größenverhältnisse des ehemaligen Armariums bestimmen. Erfindung der Buchdruckerkunst und Aufblühen des Humanismus führten zu einer weiteren Zunahme der Bücherschätze. Daher errichtete Abt Jakob aus Hillesheim (1498-1510) im Jahr 1506 einen lichten und geräumigen Bibliotheksbau.

Er stand an der Südwestseite des Konvents und blieb bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts erhalten. Das Schreiben und Ausmalen der Handschriften war eine anstrengende körperliche und geistige Arbeit. Sie erforderte vielerlei Kenntnisse, große Geschicklichkeit und Ausdauer. Oft arbeiteten die Schreiber bei spärlichem Öllampen – und Kerzenlicht bis tief in die Nacht. Aufschlussreiche Zeugnisse dafür sind die Schreibvermerke am Ende der Handschriften. So beendete der Himmeroder Mönch Johannes Fritsch eine Abschrift aszetisch-mystischer Traktate am 24. November 1468 erst zwei Stunden vor Mitternacht (Staatsbibliothek zu Berlin, Lat. Fol. 745, fol. 175r). Andere Schreibervermerke lauten: „Nur drei Finger führen den Federkiel und doch wird der ganze Mensch müde“ – „Die Schreibkunst ist mühevoller als jedes andere Handwerk.“

Die künstlerische Ausstattung der Himmeroder Handschriften ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, schlicht und entspricht der vom Orden geforderten Einfachheit. Allerdings entstanden in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Cîteaux wie in Clairvaux reich illuminierte Kodizes, die sich mit Werken zeitgenössischer Schreibschulen anderer Orden messen können. Erst in den letzten Lebensjahren setzte sich Abt Bernhard von Clairvaux entschieden für eine ganz einfache Ausstattung der Ordensbücher ein. Wohl auf seine Veranlassung hin erließ das Generalkapitel (ca. 1148/50) das Statut von der Einfarbigkeit der Initialien.

Während viele Klöster diese Vorschrift nahezu ein Jahrhundert lang befolgten, durchbrachen nach Bernhards Tod (1153) die Skriptorien der Primarklöster die einschränkenden Bestimmungen. Die neue Richtung spiegelt sich in Himmerod – ein sprechendes Zeugnis von der Ausstrahlungskraft des Mutterklosters Clairvaux – in der im Jahre 1154 von Albert und Meinerus vollendeten – schon oben erwähnten – Augustinushandschrift (Chantilly, Musée Condé MS.121) wider. Ihre reiche Ausstattung besteht in zahlreichen mehrfarbigen Inititalien mit bizarrem Rankenwerk und figürlichen Darstellungen. Die übrigen Handschriften des Eifelklosters entsprechen der Schlichtheit zisterziensischen Buchschmucks. Bei der Initialgestaltung überwiegt das pflanzliche Motiv wie Ranken und Knollen, verbunden durch Spangen und Schnallen. Selten finden sich figürliche Elemente wie Tiere oder Fabelwesen. Normalerweise blieb der Buchstabenkörper auf der Unterlage des weißen Pergamentgrundes schwarz. Die Initialien sind abwechselnd rot, blau, grün oder gelb konturiert. Gold und Silber ebenso wie Filigranwerk werden erst im 14. Jahrhundert verwendet. Deckfarbenmalerei trifft man nur ganz vereinzelt. Ein gutes Beispiel für diese Miniaturtechnik ist das Kanonbild in einem Missale (Staatsbibliothek zu Berlin Lat. qu. 715, fol. 7v).

Die Buchschrift ist gleichmäßig und gut leserlich. Die karolingische Minuskel wird im Laufe des 13. Jahrhunderts mit gotischen Formen durchsetzt und dann durch die gotische Schrift abgelöst. Die Abkürzungen sind durchweg einheitlich. In den meisten Fällen tritt der Kürzungstyp mit übergesetzten Buchstaben auf. Die Bände sind größtenteils zweispaltig auf Linienschema geschrieben und künden von der sorgfältigen Arbeitsweise im Himmeroder Skriptorium.

Nach allgemeiner Gewohnheit tragen die Himmeroder Handschriften bestimmte Eigentumsvermerke, die ihre Zugehörigkeit zur Klosterbibliothek nachweisen. Der früheste Besitzvermerk in der 1154 vollendeten Augustinushandschrift lautet: Liber beate Mariae de Claustro. Später tritt der Name der Gottesmutter zur Klosterbezeichnung: Liber beatae Mariae virginis in Claustro.

Seit dem 13. Jahrhundert wird der von St. Bernhard selbst gewählte Klostername Claustrum durch die neue Bezeichnung Himmerod abgelöst. Seitdem tragen die meisten Bände den Besitzvermerk: Liber monachorum sancte Marie in Himmerode, ordinis Cisterciensis, Treuerensis diocesis . Sie befinden sich gewöhnlich auf dem ersten Blatt, oft auch innerhalb des Textes.

Starke Impulse für das geistige Leben und die Vermehrung der Bibliothek gab das Universitätsstudium Himmeroder Mönche, die sich seit dem 13. Jahrhundert im St. Bernhardskolleg zu Paris und später in Heidelberg und Köln immatrikulierten. Diese leiteten dann als graduierte Dozenten im Kloster das philosophisch-theologische Hausstudium. Vermehrte Studien und Hochschulbesuch bedingten aber Vergrößerung der Bücherbestände und ihrer Aufbewahrungsräume. Die Skriptorien kommen jetzt der Beschaffung neuer Literatur kaum mehr nach. Auswärts studierende Mönche kaufen mit Erlaubnis des Abtes Bücher für die Klosterbibliothek; auch ersucht man Wohltäter um Bücherspenden.

Die Äbte beauftragten die Mönche, am jeweiligen Universitätsort Abschriften für die Himmeroder Bibliothek anzufertigen. So ließ Abt Heinrich von Luxemburg 1315 für Himmerod die Kirchengeschichte des Bischofs Eusebius von Caesarea (Staatsbibliothek zu Berlin, Lat. Fol. 747, fol. 162 r) kopieren. Johannes Loege aus Andernach kopierte während seines Studienaufenthalts in Paris 1464 die Sentenzen des Thomas von Aquin (Staatsbibliothek zu Berlin, Lat. qu.712, fol. 264v).

Man geht daher nicht fehl, wenn man den außergewöhnlichen Bestand und die Reichhaltigkeit der Klosterbibliothek auf die eifrige Abschreibetätigkeit in Himmerod zurückführt. Nach einer Notiz des Humanisten Matthias Agritius aus Wittlich († 1613 als Priesteroblate in Himmerod) soll die Himmeroder Bibliothek im Jahre 1453 gegen 2000 Bände enthalten haben. Agritius entnahm seine Angabe zwei Verzeichnissen, die in der Folgezeit verlorengingen. Zur Würdigung dieser Leistung dienen einige Vergleichszahlen: so weist z. B. 1461 die Universitätsbibliothek Heidelberg 841 Werke mit 1600 Bänden auf . 1472 sind in Clairvaux 1788 Handschriften, während hingegen die Zisterzienserabteien Lehnin in der Mark Brandenburg gegen Ende des 15. Jahrhunderts 986, Altzelle und Grünhain in Sachsen 1514 etwa 960 bzw. 650 Nummern besitzen.

Seit dem 15. Jahrhundert fordern die Generalkapitel die Äbte eindringlich zur Errichtung von Bibliotheksbauten und sorgsamer Pflege der Bücherbestände auf. Daraufhin ließ Abt Jakob aus Hillesheim (1498-1510), wie oben schon erwähnt, im Jahre 1506 einen geräumigen Bibliotheksbau mit hohen Fenstern errichten.

Die Buchdruckerkunst leitete eine neue Epoche im Bücherwesen ein. Demnach wurden im Himmeroder Skriptorium weiterhin seltene Werke kopiert. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts waren es noch über 30 Handschriften. Ein weiteres Betätigungsfeld fanden die Schreibermönche mit der Illuminierung der in den Inkunabeln vorgesehenen Initialen. Im 16. Jahrhundert verödet das Himmeroder Skriptorium immer mehr. Nur in ganz vereinzelten Fällen weiß man von der Weiterpflege der einst so fruchtbaren Abschreibetätigkeit der Mönche.

Um die gleiche Zeit, da die Klosterbibliothek ihre größte Blüte erlebte, hört man von ernstlichen Bedrohungen der kostbaren Handschriftenbestände. Der resignierte Abt Johannes VI. aus St. Vith (1429/49) nimmt verschiedene Kodizes in den Klosterhof Rohr bei Koblenz mit. Unter Androhung empfindlicher Strafen befiehlt das Generalkapitel die unverzügliche Rückgabe. Im 16. Jahrhundert entliehen der Trierer Erzbischof Johann III. von Metzenhausen (1531/40) zur Vorbereitung einer Provinzialsynode und Kaiser Ferdinand I. (1558/64) für das Konzil von Trient eine Anzahl Handschriften. Sie gelangten nach einer Feststellung von Agritius nicht mehr nach Himmerod zurück. Wohl die empfindlichste Verminderung erfuhr die Klosterbibliothek im Jahre 1569 beim Brand des Wittlicher Pfarrhauses, wo man infolge der unsicheren Kriegszeiten die wichtigsten Handschriften und Urkundenbestände ausgelagert hatte. Bei der Brandkatastrophe wurden unersetzliche Geschichtsquellen, u.a. die „Gesta abbatum Hemmenrodensium“, der Himmeroder Abtskatalog, vernichtet. Weitere Einbußen erfuhr die Bücherei in den unseligen Kriegszeiten des 16. und 17. Jahrhunderts. Als die Heere der Franzosen, Schweden, Niederländer, Brandenburger und Kaiserlichen das Erzstift Trier ausplünderten, flüchtete der Konvent häufig – 1632 sogar viermal – mit dem wertvollsten Besitz auf die Burgen befreundeter Adeliger zu Manderscheid, Oberkail und Seinsfeld, nach St. Thomas und Trier.

Um die Vermehrung der stark reduzierten Bestände machte sich Abt Johannes IX. (1581/91) durch umfangreiche Bücherkäufe verdient. Sein Nachfolger Ambrosius Schneidt aus Cochem (1596-1612), weithin geschätzt als Schönschreiber, kopierte Handschriften und schmückte Inkunabeln mit kunstvollen Initialien und Randleisten aus. Für den Trierer Erzbischof Lothar von Metternich verfertigte er sogar ein kostbares, mit Miniaturen versehenes Missale.

Eine großzügige Erweiterung der Bibliothek besorgte vor allem Abt Robert Bootz aus Großlittgen (1685-1730) vor seiner Wahl Archivar und Bibliothekar. Selbst literarisch tätig – Verfasser der Himmeroder Abtsgeschichte – suchte Abt Robert durch Förderung der Studien das geistige Niveau des Konvents zu heben. Er berief auswärtige Lektoren an die Hauslehranstalt. Die Bibliothek bereicherte er mit wertvollen Neuerscheinungen. Die in den vorausgegangenen Kriegszeiten durch Auslagerungen schadhaften Handschriften und Inkunabeln wurden neugebunden, der Bibliotheksbau gründlich renoviert. Seine Bedeutung für die geistige Erneuerung des Klosters würdigten wohl am besten die beiden Maurinermönche Martène und Durand, die 1718 in der Himmeroder Bibliothek nach unbekannten Handschriften forschten. Darin befanden sich nach ihrem Reisebericht fast ausschließlich theologische und nur wenige historische Werke. Besondere Beachtung fand ein Kodex mit Schriften der hl. Hildegard von Bingen, aus dem Martène 83 bisher unbekannte Briefe veröffentlichte. Mit dem Maurinengelehrten stand Abt Robert schon lange Jahre in Briefwechsel. Auf dessen Anregung hin erwarb er wichtige patristische und historische Publikationen. Im Jahre 1724 berichtete der Abt nach Paris, die Bibliothek sei endlich geordnet; ein Buchbinder bessere die beschädigten Manuskripte aus und sorge für neue Einbände. An den noch erhaltenen Kodizes läßt sich der gute Geschmack des Abtes erkennen. Sie sind mit naturfarbenen Schweinsleder bezogen und tragen auf der Vorderseite das vergoldete Wappen Roberts mit der Umschrift F.R.A.H. (Frater Robertus Abbas Himmerodensis). Die Rückseite zeigt das Konventswappen, zwei ineinander geschlungene Ringe mit der Überschrift C.H. (Conventus Himmerodensis). Die Aufgeschlossenheit des großen Abtes für das geistige Leben seiner Zeit würdigte die Trierer Universität. Im Jahre 1706 wählte man ihn als Rektor in den akademischen Senat der Alma Mater Trevirensis. Dieses Amt versah Bootz bis 1709.

Himmerod teilte das Schicksal der linksrheinischen Klosterbibliotheken. Nach dem Einzug der französischen Revolutionsheere in das Trierer Erzstift (Juli 1794) begann die letzte und unheilvollste Zerstreuung des Bücherbestandes. Im August 1794 floh der Konvent unter Mitnahme fast sämtlicher Handschriften auf das rechtsrheinische Ufer, wahrscheinlich nach Heisterbach. Nahezu ein Jahr dauerte das Exil. Nach beruhigenden Zusicherungen der französischen Stellen kehrten die Emigranten am 5. Juli 1795 nach Himmerod zurück. Die Handschriften ließ man jedoch wegen der noch undurchsichtigen Lage im Rechtsrheinischen. Das Verbot der Novizenaufnahme und wirtschaftliche Repressalien waren düstere Vorboten. Am 15. Mai 1802 veranlasste der Präfekt des Saardépartments „im Interesse der Erhaltung der Klosterbibliotheken für die Wissenschaft“ deren Bestandsaufnahme und Versiegelung. Bei dieser Gelegenheit stellte P. Anselm Steinen als Bibliothekar ein nach Sachgebieten geordnetes Verzeichnis auf. Es wies 1574 Drucke und einige Handschriften nach. Durch Beschluss der französischen Konsularregierung vom 9. Juni 1802 wurden alle geistlichen Stiftungen in den vier linksrheinischen Départements aufgehoben und zum Nationaleigentum erklärt. Am 26. Juli 1802 verließ der Konvent die alte Kulturstätte.

Im folgenden Jahr (1. März 1803) verfügte Präfekt Ormechville die Überführung der noch nicht veräußerten Bücherbestände nach Trier. Daraus sollte der Bibliothekar Wyttenbach die besten Stücke für die Öffentliche Bibliothek auswählen und den Rest zur Deckung der Transportkosten versteigern lassen. Kurz vorher erschien jedoch der ehemalige Maurinermönch Jean-Baptiste Maugérard, seit 1802 wegen seiner hervorragenden Kenntnisse im Handschriften- und Bücherwesen zum Regierungskommissar für Kunst und Wissenschaft in den 4 rheinischen Départements ernannt. Im Auftrage der Regierung durchsuchte er die aufgehobenen Klöster nach Manuskripten und seltenen Inkunabeln zur Weiterleitung an die Nationalbibliothek zu Paris. In Himmerod entnahm er 25, in Eberhardsklausen 50 und in Springiersbach 13 Bände. Maugérards Verzeichnis vom 1. Mai 1803 führt 4 Himmeroder Handschriften auf, die mit zahlreichen rheinischen Manuskripten und Frühdrucken nach Paris und nach dem 2. Pariser Frieden (1815) großenteils an Preußen gelangten. Die übrigen Bestände der Himmeroder Bibliothek kamen nach Trier, wo Wyttenbach die wertvollsten, u.a. etwa 200 Inkunabeln, für die Öffentliche Bibliothek aussuchte; der Rest wanderte durch Versteigerung in Privatbesitz oder wurde sinnlos vernichtet.

Nur wenige Handschriften blieben nach der Klosteraufhebung in Händen der früheren Besitzer, die sie später anderen weitergaben. So nahm z.B. Abt Anselm von Pidoll († 1827) das dreibändige Himmeroder Kartular und eine Kopie der Abtsgeschichte seines Vorgängers Robert Bootz mit nach Trier. P. Ferdinand Oberkontz († 1813) vermacht der Pfarrbibliothek Pommern a.d. Mosel die „Himmeroder Wundererzählungen“, P. Anselm Steinen († 1835) im Jahre 1824 Bischof Hommes von Trier den Autograph der Bootszchen Abtsgeschichte und P. Johann Schlemmer († 1851) der Trierer Dombibliothek ein altes Hausrituale.

Der Hauptbestand der im Rechtsrheinischen ausgelagerten Himmeroder Handschriften gelangte in die Hände eines noch unbekannten Interessenten; wahrscheinlich nahm dieser auch die zahlreichen Tilgungen der Besitzvermerke vor, um die frühere Provenienz zu verschleiern. Von ihm erwarb Joseph Görres etwa 100 Kodizes, mit den gleichfalls von Görres angekauften Beständen aus der Benediktinerabtei St. Maximin in Trier fortan als „Görreshandschriften“ bezeichnet. Bevor Görres im Oktober 1819 Koblenz verließ, deponierte er seine Manuskriptensammlung im dortigen Stadthospital. Aus ihr forderte er 1844 nach München, seinem neuen Wohnsitz, 95 Bände an. Der mittlerweile auf 87 Kodizes zusammengeschmolzene Bestand wurde im Früjahr 1902 von den Erben Görres‘ in München versteigert und kam überwiegend in den Besitz der Königlichen Bibliothek Berlin, vereinzelte Stücke in ausländische Büchereien oder in Privathände. Die in Koblenz verbliebenen „Görreshandschriften“ wurden im Jahre 1911 der Königlichen Bibliothek Berlin zugewiesen, die für die Lokalgeschichte bedeutsamen Bände zwischen dem Staatsarchiv Koblenz und der Stadtbibliothek Trier aufgeteilt. Von dem ehemals so stolzen Bestand der Himmeroder Bibliothek sind nur mehr 152 Handschriften nachweisbar. Sie stehen heute in Berlin, Bonn, Düsseldorf, Koblenz, Wien, Abtei Clerf/Luxbg., Paris, Chantilly, Amiens, Brüssel, Leyden, London, Manchester, Baltimore, Camarillo/Kalifornien und New York.

Die ehemaligen Himmeroder Handschriften umfassen die verschiedensten Wissensgebiete. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, handelt es sich in der Hauptsache um theologische Literatur. Die Philosophie ist schwach vertreten durch einige Schriften des Aristoteles. Man legte eben das Hauptgewicht auf eine gründliche theologische Ausbildung der Mönche. Erst seit der Gründung der Ordenskollegien (13. Jahrhundert) schenkte man den übrigen Wissenschaften mehr Beachtung.

Unter den theologischen Werken nehmen die Kirchenväter eine beherrschende Stellung ein. Die Pflege der aszetisch- mystischen Literatur erkennt man an den Schriften der Viktoriner Hugo († 1114) und Richard († 1173), des Abtes Rupert von Deutz († 1135), des Benediktiners Konrad von Hirsau († um 1150), des hl. Bernhard von Clairvaux († 1153), des französischen Augustiners Johannes Gerson († 1429) und der hl. Franziskanertheologen Bonaventura († 1274) und Bernhardin von Siena († 1444). Der Einfluß der „Devotia moderna“ führt im Jahre 1457 zur Abschrift der „Nachfolge Christi“ des Thomas von Kempen († 1457).

In der spekulativen Theologie überwiegt der Einfluss der Scholastik durch Traktate Anselms von Canterburry († 1109), des Petrus Lombardus († 1160), des Petrus Manducator († 1179), des hl. Thomas von Aquin († 1274) und der beiden Dominikaner Ulricus Engelberti († 1277) und Bernardus de Parentinis († Mitte 14. Jahrhundert).

Reichhaltig sind die Bestände an Predigthandschriften: Zu ihnen gehören 24 Einzel- und Sammelbände. Erwähnenswert sind neben altchristlichen und frühmittelalterlichen Autoren Predigtwerke der Franziskaner St. Antonius von Padua († 1231), Berthold von Regensburg († 1272) und Konrad von Sachsen († 1279).

An historischen Werken sind nun zu nennen die Kirchengeschichte des Bischofs Eusebius von Caesarea († 339), Briefe der hl. Hildegard von Bingen († 1179), die metrische “Historia Apollonii regis Tyri“ des Chronisten Gottfried von Viterbo († 1191), die Papst- und Kaisergeschichte des Dominikaners Martin von Troppau († 1278), das Fragment einer Papstgeschichte, die „Gesta Trevirorum“ und Abhandlungen des Humanisten Enea Silvio de Piccolomini († 1439 als Papst Pius II)

Das Kirchenrecht weist nur wenige Nummern auf, was in der anfänglichen ablehnenden Stellung des Ordens gegen das kanonistische Studium begründet liegt. Es sind vorhanden Dekretaliensammlungen des Damasus und Tankred von Bologna (13. Jahrhundert), des Bartholomäus von Brixen († 1258) und die „Summa“ des hl. Raymund von Penyfort († 1275). Weit besser vertreten ist das Ordensrecht.

Die hagiographische Literatur weist zahlreiche Heiligenviten auf, u. a. der Äbte Maurus († 584) und Bernhard von Clairvaux († 1153), des sel. David von Himmerod († 1179), der hl. Elisabeth von Thüringen († 1231) und der sel. Begine Maria von Oignies († 1213).

An liturgischen Büchern blieben Breviere, Antiphonarien, Missalien und Rituale erhalten. Der Vollständigkeit halber seien noch zwei Handschriften mit Berechnungstabellen für den liturgischen Gebrauch und ein Fragment klassischer Literatur mit Senecas Briefen an Lucilius genannt.

Einen breiten Raum nahmen in Himmerod die ordensgeschichtlichen Werke ein: die „Regula S. Benedicti“, die „Carta caritatis“, das „Exordium Magnum Ordinis Cisterciensis“, der „Liber usuum“, verschiedene Sammlungen von Generalkapitelbeschlüssen und Privilegien, Verfassungs- und wirtschaftsgeschichtliche Urkunden zur Geschichte Himmerods und zahlreiches sonstiges Urkundenmaterial. Zu erwähnen sind auch die „Genealogia abbatum Hemmenrodensium“, das „Necrologium“, die Himmeroder Hauschronik und das von dem Himmeroder Priesteroblaten Matthias Agritius verfaßte „Monasterii Hemmenrodensis antiquitatum monumenta“.

Himmerod verfügte im Mittelalter nach Ausweis der Quellen, besonders in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, über eine bemerkenswert reiche Bibliothek. Der Konvent beherzigte damals, was Geoffroy de Breteuil in einem um 1173 datierten Brief niederschrieb: Claustrum sine armario quasi castrum sine armamentario (Ein Kloster ohne Bibliothek ist wie eine Burg ohne Waffenkammer).

Literatur

Carl Wilkes, Die Zisterzienserabtei Himmerode im 12.und 13. Jahrhundert, Münster 1924. Ambrosius Schneider S. O. Cist., Die Cistercienserabtei Himmerod im Spätmittelalter, Himmerod 1954, besonders S. 162-184, 234-261.

Ambrosius Schneider, Himmerod aus der Kulturgeschichte des Eifelklosters. Skriptorium und Bibliothek der Abtei Himmerod, Himmerod 1974.

Fritz Wagner, Zur Buchkultur Himmerods im Mittelalter, in: Unsere liebe Frau von Himmerod 67. Jg. , 1.Ausgabe, Ostern 1997,S. 38-44.

Sigrid Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters (=Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz im Auftrag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. von Bernhard Bischoff, Ergänzungsband 1), München 1989.

Christina Meckelnborg, Die nichtarchivischen Handschriften der Signaturen-gruppe Best. 701 Nr. 1-190, ergänzt durch die im Görres-Gymnasium Koblenz aufbewahrten Handschriften A, B, und C, Wiesbaden 1998.